5.1 Sabotage, Eifersucht und Rache

„Simon, schau nur: Es wird ganz dunkel draußen!“
Simon erhebt sich aus seinem bequemen Ledersessel in Ashley Ricklebys Büro, geht zur Fensterfront und stützt seine Hände auf die Fensterbank. Der Himmel hat sich plötzlich zugezogen, und es sieht so aus, als könne es jeden Moment einen Wolkenbruch geben. Aber Simons Augen suchen etwas anderes. Es ist sein Schiff, das dort hinten auf Kiel liegt.
„Wir liegen gut im Zeitplan, Ashley“, stellt er fest. „Von hier sieht sie schon sehr elegant aus, die ‚Ocean Dream‘. Proportionen und Linienführung finde ich ausgesprochen gelungen. Da haben Luca und David gezeigt, was sie können. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass sie ausgezeichnet zusammenarbeiten.“
„Das sehe ich auch so“, antwortet Ashley, die sich neben ihn gestellt und ihm ihren rechten Arm auf seine linke Schulter gelegt hat.
„Aber einen Geschäftsführer für die kaufmännischen Belange habt ihr noch nicht gefunden?“, wendet Simon sich ihr zu.
„Nein. Es haben sich zwar einige vorgestellt, aber der Richtige war noch nicht dabei. Ich habe das Gefühl, ich sollte das auch nicht übers Knie brechen. Wichtig ist, dass die Person zu meinen Männern und mir passt – zu Luca, David und, nicht zu vergessen, Maynard. Im Laufe der letzten Monate habe ich mich immer besser in den Job eingearbeitet.“ Sie schmunzelt. „Die meisten meiner Gesprächspartner haben sich mittlerweile damit abgefunden, dass ihnen eine Frau gegenübersitzt, und meine Männer unterstützen mich nach Kräften. Aber was ich ohne Irene täte, weiß ich nicht. Sie ist ein verborgener Schatz für die Werft, und auch wir können ausgezeichnet zusammenarbeiten.“
„Das freut …“ Simon wird durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen.
Ashley nimmt ihren Arm von Simons Schulter, bevor sie „herein!“ ruft.
Irene steckt ihren Kopf durch die Tür. „Mrs. Rickleby, ein Mr. O‘Shea für Mr. Brown.“
Verwundert sehen Ashley und Simon sich an, dann zuckt Simon mit den Schultern.
„Er soll eintreten, Irene“, erklärt Ashley kurz.
Die Vorzimmerdame öffnet die Tür ein wenig weiter und ein junger Mann von schmächtiger Gestalt betritt das Büro. Er hat rote Stoppelhaare und sein Gesicht ist übersät von Sommersprossen, in der Hand hält er eine Schirmmütze.
O’Shea, denkt Simon. Könnte ein Ire sein.
„Entschuldigen Sie, Sir“, beginnt jetzt der Gast. „Mr. Lewis schickt mich. Ich soll Sie bitten, mich zum Schiff zu begleiten. Er möchte etwas Wichtiges mit Ihnen besprechen.“
„Worum geht es?“, erkundigt sich Ashley, aber O’Shea zuckt nur mit den Achseln.
„Entschuldige mich, Ashley, ich werde dann mal gehen“, erklärt Simon und nickt der Werftinhaberin noch einmal zu, bevor er die Tür von außen ins Schloss zieht.
Gerade als die beiden Männer aus dem Bürogebäude hinaus auf das Werftgelände treten, beginnt es stark zu regnen. Simon schließt die Knöpfe seiner Jacke und stellt den Kragen hoch. „Sagen Sie, Mr. O’Shea … Sind Sie Ire? Wie lange sind Sie schon bei Rickleby & Smith?“
„Ja, Sir. Vier … nein, fast fünf Jahre.“
„Und gefällt es Ihnen dort?“, fragt Simon, während sie sich nebeneinander durch den Regen in Bewegung setzen.
„Ganz in Ordnung, Sir.“
„Lassen Sie uns etwas schneller gehen, vielleicht sind wir dann am Schiffsrumpf noch nicht klitschnass.“
Den Hals so weit wie möglich in den Jackenkragen zurückgezogen, gehen sie zügigen Schrittes auf den Rumpf des Dreimasters zu. Neben dem Schiff dampft heißes Pech in über offenem Feuer köchelnden Kesseln, es riecht nach Teer, und eine unendliche Abfolge von Hammerschlägen ist zu hören. Auf dem Boden reihen sich die Pfützen wie Seerosen auf einem Teich aneinander. Kaum sind sie unter dem Rumpf angekommen, zeigt O’Shea mit ausgestrecktem Arm zum Heck. „Dort drüben ist Mr. Lewis, Sir.“
„Ja, ich sehe ihn. Danke, Mr. O’Shea.“
Simon geht die letzten Schritte zu seinem Freund hinüber und erkundigt sich: „David, was ist los?“
„Gut, dass du kommst, Simon. Schau dir das an.“ David steckt seine Finger in eine der Fugen zwischen den Planken und zieht das Werg ohne Widerstand heraus. „Das ist miserable Arbeit. Das Werg lässt sich einfach herausziehen. Das muss nachgearbeitet werden.“
„Um Gottes Willen! Ist das überall so?“
„Nein, nur hier im hinteren Teil des Rumpfes. Ich habe die Männer gerade erst wieder darauf hingewiesen, dass das Kalfatern äußerst sorgsam ausgeführt werden muss. Zwei Männer habe ich damit beauftragt, alle Fugen im hinteren Bereich des Rumpfes zu prüfen und gegebenenfalls auszubessern. Ich habe keine Ahnung, wer für diesen Pfusch verantwortlich ist. Wir haben ein paar neue Arbeiter eingestellt. Einer von ihnen hat entweder keinerlei Kenntnisse vom Kalfatern, oder er arbeitet schlicht und einfach schlampig. Mach dir keine Sorgen, wir werden ihn finden.“
Simon betrachtet den Rumpf kritisch und zeigt auf eine der Fugen, auf die David vorher gedeutet hat. „Ich weiß zwar, dass Kalfatern das Abdichten der Fugen ist, aber was ist beispielsweise an dieser Stelle falsch? Sie sieht genauso aus wie andere Fugen auch.“
„Nun“, erwidert David, „wir bauen Schiffe in der Kraweelbauweise, das heißt, wir setzen die Schiffsplanken direkt nebeneinander. So entstehen Fugen, und diese müssen natürlich gegen das Eindringen von Wasser abgedichtet werden.“ David zupft mit seinen Fingern einen kleinen Teil des mangelhaften Wergs aus einer Fuge heraus. „Schau dir jetzt die Fuge genau an. Die beiden Schiffsplanken sind an den zusammengefügten Stellen bis etwa zur Hälfte der Planke abgeschrägt. Zum Kalfatern nimmt man einen Dweiel, einen Wollbommel an einem Stab – den hast du bestimmt schon mal gesehen. Damit bringt man das heiße, flüssige Pech in die Fuge ein. Anschließend bringt man zunächst mit einem Schöreisen, dann mit einem Kalfateisen das Werg in die Fuge ein und verschließt sie dann. Das herausquellende überschüssige Pech wird am Ende abgeschabt.“
„Als Werg dienen überwiegend Hanf- oder Jutefasern, richtig?“, will Simon wissen.
„Ja, genau. Und jetzt schau dir diese Fuge an, aus der ich das Werg entfernt habe. Was fällt dir auf?“
Simon beugt sich vor und wirft einen Blick auf die Planken. „In der Fuge ist so gut wie überhaupt kein Pech zu sehen.“
„Genau, es wurde gar kein Pech eingebracht, sondern nur das Werg. Anschließend hat man es mit Pech überzogen, sodass es so ausschaut, als wäre alles in Ordnung. Wenn in den nächsten Monaten der Schiffsrumpf ins Wasser kommt, fällt das Werg nach einigen Stunden, vielleicht auch erst nach einigen Tagen wieder heraus, und der Rumpf beginnt zu lecken.“
Simon richtet sich wieder auf und sieht sich um. Einer der Schiffsbauer in ihrer Nähe muss ihr Gespräch mitgehört haben und fragt: „Wer macht so eine Stümperei, Mr. Lewis?“
„Ich weiß es nicht, Hobbs.“ David seufzt. „Wahrscheinlich einer der Neuen, der sich nicht traut zu sagen, dass er vom Kalfatern keine Ahnung hat.“

An einem kühlen, aber sonnigen Nachmittag Anfang April reiten George Boyt und Simon Brown nach Boston, um in einem Pub drei Seemänner zu treffen. Einer von ihnen, den der Kapitän von früher her kennt, ist auf der Suche nach einem neuen Job mit ihm in Kontakt getreten.
„Wo liegt der Pub, George?“
„Es ist nicht weit, Simon, nur die Middle Street hinunter“, erklärt George Boyt, während er sich unsicher im Sattel bewegt. Augenscheinlich sucht er nach einer vorteilhafteren Sitzposition und grinst dabei verlegen. „Ich weiß schon, warum ich auf einem Schiff zu Hause bin und nicht auf einem Pferd …“
„So einen schlechten Eindruck machst du im Sattel gar nicht“, scherzt Simon.
„Du kannst mich gerne auf den Arm nehmen“, brummt George zurück. „Keine große Kunst für jemanden, der im Sattel groß geworden ist. Wenn die Middle Street in die Hanover Street übergeht, biegen wir nach links in die Union Street ab. Dort liegt die ‚Green Dragon Tavern‘. Da soll übrigens die Boston Tea Party geplant worden sein. Warum sollte das nicht auch der richtige Ort sein, um sich ein paar Männer für die ‚Ocean Dream‘ anzuschauen?“
Simon wirft George einen fragenden Blick zu. „Kennst du die Männer schon?“
„Nur einen von ihnen, Barry O’Reilly. Er war etwa anderthalb Jahre mit mir auf der ‚Whitecap‘, ein ganz ordentlicher Kerl.“
„Ein Ire?“
„Ja“, nickt George, „aber nicht nur er; seine Freunde sind auch Iren.“
Einige Minuten später erreichen sie die Middle Street. Schon von Weitem erkennt Simon den großen Kupferdrachen über der Eingangstür, der mit seiner grünen Patina dem Namen des Pubs alle Ehre macht.
„Da wären wir.“ George Boyt klopft sich noch den Straßenstaub von der Hose, während Simon schon unter dem Drachenausleger an der Tür steht. „Komm schon, George, lassen wir die Männer nicht warten.“
Der weitläufige Schankraum des Pubs ist gemütlich eingerichtet und gut besucht. Simon entdeckt einen freien Tisch und will sich dorthin begeben, doch George hält ihn am Jackenärmel fest. „Simon, dort drüben sitzen sie. Barry hat sich überhaupt nicht verändert.“
Simon ordert an der Theke eine Runde Bier für den Tisch, dann gehen sie zu den Iren hinüber.
„Guten Tag, Barry, wie geht es Ihnen?“, grüßt George einen kleinen, rundlichen Mann mit dichtem dunklem Haar, buschigem Bart und auffallend heller Haut.
„Sir … hm … Guten Tag.“ Der Ire wirkt leicht nervös, scheint sich dann aber auf die Umgangsformen zu besinnen. „Wollen Sie sich nicht zu uns setzen?“
„Natürlich.“ George nickt, und setzt sich den Männern gegenüber. Simon nimmt neben ihm Platz.
„Sie sind jetzt Kapitän, Sir?“, wendet sich O’Reilly an George.
„Ja, Barry. Darf ich Ihnen den Eigner der ‚Ocean Dream‘ vorstellen? Mr. Simon Brown.“
Ein wenig verunsichert und kritisch schauen die Iren Simon an, und es ist nicht schwer zu erkennen, was sie denken. Barry spricht es unverblümt aus: „Ziemlich jung für einen Eigner, will ich meinen.“
„Ja“, reagiert Simon gelassen, „das ist sicherlich richtig.“
„Entschuldigen Sie, Mr. Boyt, Sir, aber wir müssen Sie das fragen.“ Barry wirkt nun zusehends angespannter. „Dieser Mr. Brown … hm … Kann es sein, dass er der Sohn eines reichen Gentleman ist, der mit Schiffen spielt, weil er das nötige Geld vom Vater bekommen hat?“
„Sie sind ein unverbesserlicher Sturkopf, Barry! Bleiben Sie höflich“, interveniert der Kapitän. „Glauben Sie mir, ich würde für Mr. Brown nicht arbeiten, wenn er unerfahren wäre oder wenn ich ihm nicht vertrauen könnte.“
O’Reilly schaut wenig überzeugt. „Ihr Wort in allen Ehren, Mr. Boyt, aber Sie sind Kapitän und finden schnell etwas Neues. Das wird bei uns nicht so sein.“
Simon hat sich bisher zurückgehalten, sieht sich nun aber genötigt, etwas mehr zu sagen. Er drückt seinen Rücken durch und setzt sich noch etwas aufrechter. „Sie zweifeln an der Seriosität meines Vorhabens?“, fragt er bemüht freundlich. „Dann will ich Ihnen etwas erklären. Meine beiden Mitgesellschafter – und das sind keine Familienmitglieder – wollen am Ende des Jahres genauso ihr Geld sehen wie die Mannschaft. Denken Sie, sie würden in mich investieren, wenn Sie nicht damit rechnen würden, dass sie ihr Geld bekommen?“ Simon nimmt einen Schluck von seinem Bier, bevor er fortfährt. „Aber sprechen wir nicht nur von mir. Würden Sie die Freundlichkeit haben, mir die anderen Herren vorzustellen?“
Dem Iren steigt eine leichte Röte ins Gesicht. „Oh, Entschuldigung, Sir, natürlich. Hier rechts neben mir sitzt Brendan Kennedy und auf der anderen Seite Cayden O’Doherty, Sir.“
„Freut mich.“ Simon nickt den beiden Männern zu. „Nehmen wir nun einmal an, ich kann Sie von der Ernsthaftigkeit meines Vorhabens überzeugen. Was sollte uns veranlassen, mit Ihnen einen Heuervertrag abzuschließen?“
Die drei Iren schauen sich unschlüssig an, und Barry sagt: „Wir verstehen nicht …?“
„Barry, das ist doch nicht schwer zu verstehen“, fährt George dazwischen. „Mr. Brown will wissen, wer ihr seid und was ihr draufhabt.“
„Los, Brendan, fang an.“ Barry stößt seinen Freund an die Schulter.
„Hm, gut … Ich komme aus Chicago, bin neunzehn Jahre alt und bin mit meinen Eltern eingewandert – komme aus Cork.“ Nervös spielt der schlanke rothaarige Ire mit seinen Fingern. „Zimmermann … Von Beruf bin ich Zimmermann.“
Simon nickt kurz, und der andere Mann neben O’Reilly ergreift das Wort. „Mein Name ist Cayden O’Doherty; ich wurde am 2. März 1813 in New Haven, Connecticut, in den Vereinigten Staaten geboren. Meine Eltern stammen auch aus Irland, ich bin Matrose – und bevor Sie mich fragen …“ Der hellhäutige Seemann mit seinen krausen schwarzen Haaren dreht den Kopf und hält sein Kinn ins Kerzenlicht. „Das ist das Ergebnis einer Schlägerei mit einem Saukerl. Hat sich nicht gelohnt, sie hat mich trotzdem wegen ihm verlassen.“
„Die nächste Runde geht auf mich“, unterbricht der Kapitän die Männer und stellt sein leeres Glas zurück auf den Tisch.
„Danke, George, aber das ist meine Aufgabe. Schließlich sind wir geschäftlich hier.“ Simon dreht sich zur Theke um und gibt dem Gastwirt mit der Hand ein Zeichen.
„Mr. Boyt, Sie kennen mich ja schon“, fährt Barry O’Reilly fort. „Bin am 17. November 1805 in New York geboren und einer der besten irischen Segelmacher von der Ostküste, will ich meinen.“
Kaum hat er seinen Satz beendet, steht der Gastwirt am Tisch und setzt fünf randvoll gefüllte Biergläser auf den Tisch. „Wohlsein!“
„Genau.“ Simon hebt sein Glas und ergänzt: „Auf Ihr Wohl, meine Herren, und auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit.“
Die Iren schauen sich entgeistert an, werfen anschließend George Boyt einen fragenden Blick zu und richten schließlich ihre Augen auf Simon. „Wir haben doch noch gar nicht zugesagt, Mr. Brown“, stellt Barry O’Reilly fest.
„Das stimmt, Mr. O’Reilly.“ Simon lehnt sich zurück und sieht die drei der Reihe nach an. „Mr. Boyt und ich wollen es mit Ihnen versuchen. So liegt es jetzt an Ihnen, sich zu entscheiden. Sie kennen Mr. Boyt, wissen wie ich, der Eigner, ausschaue, haben ein paar Worte mit mir gewechselt und erfahren, dass ich nicht mit Schiffen zu spielen gedenke. Ein Abenteuer wird es zweifelsohne sein – wollen Sie sich darauf einlassen? Garantien gibt es keine, aber das wissen Sie selbst.“ Simon räuspert sich. „Melden Sie sich bis zum 1. Mai 1834 bei Rickleby & Smith Co. und melden sich beim Kapitän oder bei mir. Die Heuerverträge werden zur Unterschrift für Sie bereitliegen.“
Perplex sitzen die drei Männer vor Simon und wissen anscheinend nicht, was sie antworten sollen. Mit einem kräftigen Schluck leert Simon seinen Bierhumpen, stellt ihn auf den Tisch zurück, gibt George ein Zeichen und geht dann zur Theke, um die Zeche zu zahlen. Auf dem Weg zur Tür macht er noch einmal ein paar Schritte auf die Iren zu. „Bis zum 1. Mai dieses Jahres, nicht vergessen. Der Kapitän und ich rechnen mit Ihnen. Schönen Tag noch.“
Auf dem Weg zur Werft lenkt George sein Pferd neben das von Simon. „Was hältst du von ihnen?“
Simon grinst. „Dickköpfige Iren, aber vermutlich gute Männer.“
„Das denke ich auch“, nickt George. „Glaubst du, sie kommen?“
„Ich hoffe, wir haben ihre Neugier geweckt …“

Auf einer Ecke des Tisches im kleinen Salon stapeln sich die Akten, die Simon heute beschäftigt haben. Nachdem er sein Essen beendet hat, greift er danach, um sich damit nach oben zu begeben. „Mr. Snyder, sagen Sie bitte Molly, dass das Abendessen wieder einmal vorzüglich geschmeckt hat.“
„Richte ich aus, Mr. Brown.“
Im Türrahmen spricht Simon den Diener noch einmal an: „Sind Mr. und Mrs. Rowley noch unterwegs?“
„Mr. Rowley ist für die nächsten Tage in Chicago, und Mrs. Rowley hat überaus pünktlich zu Abend gegessen.“
„Danke, Mr. Snyder, und eine gute Nacht.“
„Ihnen auch, Mr. Brown.“
Als Simon sein Zimmer betritt, erschweren ihm die auf dem Boden gestapelten Bücher, Akten und herumliegenden Zeichnungen den Weg zum Schreibtisch. Er setzt den Aktenstapel auf dem Schreibtisch ab und lässt sich dann rücklings der Länge nach auf sein Bett fallen. Er will eigentlich nur kurz die Augen schließen, doch die Müdigkeit übermannt ihn, und er schläft ein. Als er wieder aufwacht, blickt er in Lindsays Gesicht, die mit verschränkten Armen vor seinem Bett steht und ihn ernst anblickt. Langsam setzt Simon sich auf und fährt sich mit den Fingern durch die Haare. „Guten Abend, Lindsay, ich bin wohl eingeschlafen.“
„Wie sieht es hier denn aus?“, fragt sie. „Überall liegen deine Unterlagen herum.“
„Entschuldige bitte. Das wird sich in ein paar Monaten ändern. Ashley hat mir angeboten, dass ich in der neuen Werft von Rickleby & Smith ein paar Büro- und Lagerräume pachten kann.“
„Ashley, Ashley, Ashley …“ Der scharfe, beinahe vorwurfsvolle Ton in Lindsays Stimme entgeht ihm nicht, obwohl ihn die Anstrengungen des Tages geschafft haben. Verwundert sitzt er da und betrachtet Lindsay, wie sie dort in ihrem seidenen Nachthemd vor ihm steht. Sie hat eine feste Haltung eingenommen und hält die Arme noch immer vor ihrem Körper verschränkt. „Meinst du, ich bin blind? Ich würde nichts bemerken?“ In Lindsays Stimme mischt sich nun eine gehörige Portion Aggressivität.
Simon setzt sich aufrecht hin und fragt besonnen: „Ich verstehe nicht. Worum geht es hier?“
„Du hast etwas mit Ashley! Streite es erst gar nicht ab!“
„Ich … mit Ashley? Nein!“
„Doch – zweifellos!“, beharrt Lindsay zornig. „Findest du sie etwa nicht attraktiv?“
„Sicherlich ist sie attraktiv, aber …“
„Aha! Damit hast du es freiwillig zugegeben!“ Lindsay hebt theatralisch die Arme und macht ein paar Schritte zwischen den Papierstapeln durch den Raum. „Oh, ich wusste es! Ich habe es schon vor deiner Chinareise geahnt. Über jede und jeden hat sie hergezogen, nur über dich nicht. Das hätte mir zu denken geben müssen. Seit du aus China zurück bist und ihr das Segelschiff baut, spricht sie nur noch von dir.“
„Lindsay, bitte …“ Simon ist fassungslos über diesen Ausbruch.
„Unterbrich mich nicht, jetzt bin ich an der Reihe! Weißt du noch, das Frühstück bei Mrs. Foster Otis, bei dem ich mit Ashley, Alice und Isabella eingeladen war? Kaum haben wir unsere Plätze eingenommen, hat sie mich auch schon auf dich angesprochen. Oder am 3. Juli, als der Vertrag für deine Reederei unterschrieben wurde. Ich habe genau gesehen, wie ihr euch begrüßt habt, sie hat dich berührt und dir etwas ins Ohr geflüstert … Oh Gott, wie sie dich anschaut, ja anhimmelt … Ich hasse sie dafür!“
Lindsay holt Luft und Simon sucht nach einem Weg, Verständnis zu zeigen. „Du bist eifersüchtig, Lindsay“, entgegnet er. „Und alle Indizien scheinen gegen mich zu sprechen. Aber ich habe und hatte nichts mit Ashley – wenn ich auch zugeben muss, dass wir uns mögen und vertrauen.“
Lindsay dreht sich um und kommt wieder auf ihn zu. „Sag mir die Wahrheit, Simon: Hast du sie geküsst?“
Soll er es sagen oder es verschweigen? Simon runzelt die Stirn und entscheidet sich für die Wahrheit. „Sie hat mich geküsst – als ich nach meiner Chinareise das erste Mal bei ihr im Büro war.“
Reflexartig holt Lindsay mit ihrem rechten Arm aus und springt nach vorne. Simon bekommt gerade noch ihre Hand zu fassen, bevor sie in seinem Gesicht landet. Durch den Schwung wird er aufs Bett zurückgeworfen, und Lindsay landet auf ihm. Ohne groß zu überlegen dreht Simon sie auf den Rücken und hält ihre Hände fest, damit sie nicht noch einmal ausholen kann. Atemlos sieht Lindsay ihn an, ohne etwas zu sagen.
„Lindsay“, erklärt Simon eindringlich, „ich schwöre dir, ich habe nichts mit Ashley und auch nichts mit einer anderen Frau. Aber du weißt auch, dass es nur eine gibt, die ich von Herzen geliebt habe und für die ich immer noch sehr viel empfinde. Sie hat einen anderen geheiratet, und du kennst ihren Namen.“
„Ma …“ Bevor Lindsay weitersprechen kann, verschließt Simon ihre Lippen mit seinen …
Als die beiden kurz vor Mitternacht zusammen im Badezimmer unter der Brause stehen, stellt sich Lindsay auf ihre Zehenspitzen und flüstert Simon ins Ohr: „Verzeih mir, Simon. Marala ist Marala, und ich weiß, dass sie für dich unantastbar ist. Aber eine andere Frau in meinem Alter und dann auch noch Ashley? Das geht nicht!“
Für Simon gibt es nichts mehr zu sagen. Ohne ein weiteres Wort nimmt er Lindsay in die Arme und küsst sie leidenschaftlich. Die Nacht ist noch nicht vorüber.

Ruhig setzt der braune Hengst seine Hufe voreinander. Regelmäßig bläst er seinen Atem als weißes Wölkchen aus seinen Nüstern – ein unmissverständlicher Hinweis auf die empfindliche Kälte an diesem Donnerstagmorgen im April 1834 im Bostoner Hafen. Warm dagegen ist der freudige Schauder, der dem Reiter über den Rücken läuft, als er auf das Werftgelände von Rickleby & Smith einbiegt. Ein Blick auf den Schiffsrumpf lässt ihn deutliche Fortschritte erkennen. Die Masten sind aufgestellt, die Rahen befestigt, die schwarze Farbe ist fast vollständig auf den Rumpf aufgebracht, und die Aufbauten befinden sich in der Endmontage.
Auf dem Hof begrüßt ihn Diego Fernandez, der bärige Spanier mit dem kurzen Stoppelschnitt und den dicht behaarten Armen. „Guten Morgen, Simon.“
„Guten Morgen, Diego, wie geht es?“ Simon springt aus dem Sattel und reicht dem Spanier die Hand.
„Gut. Schau ihn dir an, deinen Dreimaster, einfach ein herrliches Schiff!“
Simon nickt anerkennend. „Ihr macht deutliche Fortschritte, Diego. Saubere Arbeit!“
Diego wirft einen Blick in Richtung der Werftgebäude. „Der Architekt ist übrigens vor zehn Minuten gekommen. Er ist ins Büro gegangen.“
„John Parson? Der ist aber früh dran.“ Simon klopft Diego auf die Schulter und führt seinen Braunen an die Tränke.
Im Vorzimmer zu Ashleys Büro steht Irene vor dem schwarzen gusseisernen Ofen und wärmt sich die Hände. „Guten Morgen, Mr. Brown“, grüßt sie ihn. „Ganz schön frisch heute.“
„Der April ist eben kein Sommermonat, Mrs. West. Ist Mrs. Rickleby zu sprechen?“
„Einen Augenblick“, antwortet die Sekretärin und macht sich durch ein Klopfen an der Bürotür bemerkbar.
„Mrs. Rickleby, Mr. Brown möchte Sie sprechen.“
„Ich lasse bitten, Irene.“
Im Büro stehen Ashley und John über einer großen, auf dem Tisch ausgebreiteten Zeichnung. Simon begrüßt die beiden und legt seine dicke dunkelblaue Jacke über eine Sessellehne.
„Dein Schiff ist auf gutem Wege, Simon“, erklärt Ashley strahlend mit einem Blick aus dem Fenster.
„Gut. Wie steht es mit der neuen Werft? Ist sie schon bald bezugsfertig?“
„Wie Mr. Parson mir gerade mitteilt, werden wir im September umziehen können. Dann sind auch deine Räume fertiggestellt.“ Ashley zeigt mit ihrer Schreibfeder auf einen Teil der Zeichnung, und John macht einen Schritt zur Seite, um Simon Platz zu machen. „Hier, das werden die Funktionsräume und Büros für Simon Brown Traders.“
„Wirst du im September überhaupt vor Ort sein?“, fragt John seinen Freund.
„Ist schon möglich. Warum?“
„Dein Schiff sollte im August einsatzbereit sein, und du willst es sicherlich auf den ersten Fahrten begleiten. Oder gibt es Verzögerungen?“
„Nein, wir liegen gut in der Zeit. Ich bemühe mich gerade um Kunden und Frachten, aber das gestaltet sich gar nicht so einfach.“
In diesem Augenblick klopft es an der Tür und unvermittelt betritt Luca Santini den Raum, gefolgt von Irene. „Ich muss doch bitten, Mr. Santini! Sie können doch nicht …“
„Ist schon gut, Irene, kein Problem, danke“, unterbricht sie Ashley.
Der Italiener kommt mit zügigen Schritten auf sie zu. „Entschuldigen Sie mein Eindringen, Mrs. Rickleby. Fernandez sagte mir, dass Simon eingetroffen ist. Es ist unbedingt notwendig, dass er mich begleitet. David und ich müssen etwas außerordentlich Wichtiges mit ihm besprechen – das duldet keinen Aufschub.“
„Natürlich.“ Simon wundert sich, greift aber gleich zu seiner Jacke und schlüpft hinein. „Um was geht es?“
„Ich erkläre es dir auf dem Weg. David wartet schon vor Ort.“
Auf dem Werftgelände ist die frühmorgendliche Behäbigkeit einer hektischen Betriebsamkeit gewichen.
Im Laufen erklärt Luca: „Also, Simon, beim Streichen der rechten Rumpfseite ist dem Schiffsbauer O’Shea etwa auf Höhe der späteren Wasserlinie aufgefallen, dass einige Nägel unsauber verarbeitet wurden. Einen dieser Nägel hat er herausgezogen und dabei festgestellt, dass sie viel zu kurz sind, um zu gewährleisten, dass das Schiff verlässlich stabil und dicht ist.“
„Du willst mir sagen, dass sich die Holzplanken des Rumpfes von den Spanten lösen könnten?“
„Genau so ist es“, antwortet Luca. „Vorsicht, Kopf einziehen!“
Sie stehen mittlerweile unter einem Baugerüst, das an der rechten Seite des Schiffsrumpfes emporragt. Es besteht aus aufrechten Stützen, die in Mannshöhe durch Querhölzer miteinander verbunden sind. Auf diesen Querhölzern liegen zwei breite Holzbohlen, auf denen gegangen und gearbeitet werden kann.
„Hier hinaufklettern.“ Luca deutet auf eine hölzerne Leiter, die auf die erste Gerüstebene führt. Eine weitere Ebene folgt, und schließlich stehen sie in etwa vier Metern Höhe über dem Werftgelände.
Simon kann nicht widerstehen, einen Blick in die Runde zu werfen, aber Luca winkt ihn weiter. „Komm, Simon, wir müssen zum vorderen Drittel des Schiffs.“ Immer wieder müssen sie sich auf dem Gerüst an Arbeitern vorbeizwängen, dann endlich sieht Simon David einen Steinwurf entfernt vor sich stehen. Bei David angekommen, schaut Simon direkt nach unten. Auf dem Boden fällt ihm ein hoher Sandhaufen mit feinem weißem Sand ins Auge, auf der Gerüstebene direkt unter ihnen steht ein Arbeiter mit dunklen Haaren und dichtem Bart, der scheinbar eine Pause macht.
„Guten Morgen, Simon“, begrüßt ihn David. „An dieser Stelle hier haben wir ein ernst zu nehmendes Problem!“
Prüfend betrachtet Simon die Eichenholzplanken des Rumpfes und die geschmiedeten Eisennägel, die teilweise schon von einer dicken Farbschicht bedeckt sind. Zufällig fällt sein Blick nach unten zwischen den beiden Bohlen hindurch, auf denen sie stehen. Für den Bruchteil einer Sekunde sieht er dem vollbärtigen Mann direkt in die Augen, und irgendetwas irritiert ihn. Simon bemüht sich um Konzentration und schaut wieder zu David und Luca auf. David zeigt mit beiden Zeigefingern auf jeweils einen Nagel und erkundigt sich: „Was fällt dir auf?“
Simon muss nicht lange überlegen. „Der Kopf des einen Nagels ist viel kleiner als der des anderen.“
„Richtig! Was aber für uns viel entscheidender ist, ist die Tatsache, dass der Nagel mit dem kleineren Kopf auch viel kürzer ist als die anderen Nägel und seine Aufgabe auf Dauer nicht erfüllen wird. Also müssen wir genau diese Nägel finden, sie entfernen und durch längere ersetzen.“ David seufzt, greift zu einem Stemmeisen, setzt es neben dem in der Holzplanke sitzenden Nagel an und schlägt es mit einem Hammer so ein, dass es sich unter den Nagelkopf schiebt. Dann drückt er das Eisen gefühlvoll gegen den Schiffsrumpf, sodass der Nagel ein wenig aus der Planke heraustritt und er ihn mittels einer Zange herausziehen kann.
„Hier, schau dir die Länge des Nagels an.“ David holt einen längeren Nagel aus seiner Hosentasche. „So, jetzt vergleich doch bitte die Länge. Ein bedeutender Unterschied!“ Mit ein paar gezielten Hammerschlägen treibt David den längeren Nagel tief in die Planke hinein. „Dieser Nagel geht durch die Planke bis tief in die Spante. Der sitzt und hält.“
„So weit, so schlecht“, meint Simon. „Eine Person muss nun also alle Nägel kontrollieren, weil jemand nicht aufgepasst oder geschlafen hat? Wird sich die Fertigstellung des Schiffes dadurch verlängern?“
„Nein, Simon, du hast das eigentliche Problem noch nicht erkannt.“ Luca beugt sich zu ihm hinüber und fängt an zu flüstern. „Die kurzen Nägel wurden nur in einem kleineren Bereich verwendet, hier vorne an der Steuerbordseite des Schiffes. Das haben wir schon prüfen lassen.“
Auch David tritt jetzt etwas näher zu ihnen, um leiser zu sprechen. „Luca und ich vermuten, dass es sich um Sabotage handelt. Unter diesen Umständen muss man vielleicht das mangelhafte Kalfatern auch neu bewerten …“
Simon lässt unwillkürlich seinen Blick wieder zwischen die beiden Eichenbohlen sinken, auf denen sie stehen. Unten sieht er immer noch den dunkelhaarigen Mann mit dem dichten Bart. Als er Simons Blick bemerkt, wirkt er wie erstarrt, dann setzt er sich in Richtung des Schiffshecks in Bewegung.
„Sabotage?“, murmelt Simon nachdenklich.
„Ja, Simon, hier scheint es jemanden zu geben, der noch eine Rechnung mit einem von uns offen hat“, bestätigt Luca.
Plötzlich schießt es aus Simon heraus: „Natürlich, das ist es! Seine Augen, die habe ich schon irgendwo gesehen!“
„Wen gesehen?“ Verständnislos sieht David ihn an.
„Auf der Gerüstebene unter uns hat uns eben ein Mann beobachtet und belauscht, dunkle Haare, Vollbart. Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, warum er da steht.“
„Wo ist er?“, fragt David angespannt.
„Zum Schiffsheck, zu den Leitern, nehme ich an. Wir treffen uns dort!“ Simon wirft einen kurzen Blick nach unten und springt schon vom Gerüst.
„Bist du verrückt?“, schreit ihm Luca hinterher.
Aber Simon landet weich unten im Sandhaufen. Als er sich umsieht, entdeckt er eine Schaufel, die am anderen Ende des Haufens im Sand steckt. Er macht zwei große Sätze, greift sich die Schaufel und rennt, so schnell er kann, zum Schiffsheck, um dem flüchtenden Arbeiter den Weg abzuschneiden. Gerade als Simon einen Holzstapel umrundet, sieht er, wie der Bärtige einen auf dem Gerüst arbeitenden Schiffsbauer aus dem Weg rammt, sodass dieser rücklings auf den Boden schlägt.
Der Bärtige springt die Holzleiter hinunter und rennt über das Werftgelände in Richtung eines der Eingangstore. Simon setzt dem Mann nach und erreicht ihn kurz vor dem offen stehenden Hoftor. Dem Halunken muss nun klar sein, dass er Simon nicht entkommen kann. Plötzlich springt er herum, greift unter sein Hemd und holt einen langen, angsteinflößenden Dolch hervor. Er breitet seine Arme auseinander und duckt sich in Angriffshaltung. „Kannst du dich an den Dolch erinnern, Brown?“
„Ja, jetzt erkenne ich dich“, presst Simon zwischen den Zähnen hervor. „Du hast mit deinem kleinen dicken Freund versucht, Schiffsbaupläne von mir zu erpressen, und warst an der Entführung von David Lewis beteiligt.“
„So ist es!“, zischt der andere, dem deutlich sichtbar Schweißperlen auf der Stirn stehen. Plötzlich und ruckartig springt er nach vorne, um Simon seinen Dolch in den Leib zu rammen. Simon hält abwehrend die Schaufel vor seinen Körper und springt rückwärts, um den Stößen auszuweichen. Aus dem Augenwinkel bemerkt er, dass mehrere Menschen zusammengelaufen kommen und einen größeren Kreis um sie bilden.
„Lasst ihn mir, wir beide hatten bereits das Vergnügen miteinander!“, ruft Simon laut in die Runde.
„Brown, du bist für Howards Tod verantwortlich!“, schreit der Halunke, macht wieder einen Satz nach vorne und sticht mit dem Dolch in Simons Richtung. Dieser kann zwar abwehrend die Schaufel hochreißen und den direkten Stoß vereiteln, doch er kann nicht verhindern, dass die Klinge seinen Pullover und sein Hemd am linken Unterarm aufschlitzt. Ein Raunen geht durch die Zuschauer. Simon beobachtet jede noch so kleine Bewegung seines Gegenübers. Auch mit dem nächsten Dolchstoß erwischt ihn der Schurke am linken Unterarm, sodass der Ärmel seines Pullovers weiter zerfetzt wird.
„Brown, ich mach‘ dich fertig! Rache für Howard! Stück für Stück nehme ich dich auseinander!“ Der Saboteur grinst. Auch er beobachtet nebenher die herumstehenden Männer. Wie zur Täuschung springt er plötzlich kurz vor und zurück. Simon nutzt diesen Moment, um sich blitzschnell um die eigene Achse zu drehen und mit der Schaufel Schwung zu holen. Mit der vollen Kraft der Drehbewegung knallt er seinem Gegner die flache Schaufelseite gegen den Oberarm. Der Mann stößt einen kurzen heftigen Schmerzlaut aus und stolpert.
Noch bevor sich der Halunke ganz gefangen hat, holt Simon ein zweites Mal aus und schlägt dem Mann die Schaufel direkt auf die linke Schulter. Ein unschönes knackendes Geräusch ist zu hören, dem ein schmerzhaftes Jammern folgt. Dann sackt der Mann zusammen, lässt seinen Dolch aus den Fingern gleiten und fast sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die hängende Schulter.
Simon muss selbst keuchen, kann sich aber eine boshafte Bemerkung nicht ganz verkneifen. „Nach der rechten jetzt die linke Schulter – du erinnerst dich?!“ Er rammt die Schaufel in den Boden und bückt sich nach dem Dolch.
Schon sind David und Luca bei ihm, beide atemlos vor Aufregung. „Hier, David, ein Andenken für dich.“ Simon drückt seinem Freund den Dolch in die Hand. „Er trägt sein dunkles Haar zwar wesentlich länger, und der Vollbart tut sein Übriges, aber ich habe ihn doch erkannt. Er war einer deiner Entführer, ein Handlanger Howards.“
„Woran hast du ihn erkannt?“, fragt David verblüfft. „Der sieht doch heute völlig anders aus.“
„An seinen Augen.“
Luca Santini hebt seine Arme und ruft in die Runde: „Männer, es gibt nichts mehr zu schauen. Wieder an die Arbeit!“
Auch Ashley und Irene kommen jetzt herbeigelaufen. Ashley stürzt aufgeregt auf Simon zu. „Ist dir etwas geschehen? Du blutest ja!“ Sie fasst vorsichtig nach seinem linken Unterarm. Blut läuft in feinen Rinnsalen den Arm hinunter und über die Hand und tropft von seinen Fingern auf den Boden. Simon schiebt den Ärmel seines Pullovers vorsichtig bis zum Ellenbogen hinauf.
„Das sind nur ein paar Kratzer. Ein Verband wird genügen“, stellt er sachlich fest.
„Die Damen werden dir im Büro den Arm verbinden“, mein David. „Luca und ich kümmern uns um diesen Halunken.“
Der Mann am Boden stöhnt abwechselnd vor Schmerzen und wirft mit rüden Beschimpfungen um sich. Diego, der Spanier, steht noch bei ihnen und bietet jetzt an: „Mr. Lewis, haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich um diesen Typen kümmere?“
David zuckt mit den Achseln. „Wenn Sie mir versprechen, dass Sie ihn in einem Stück lassen!“
Simon will eigentlich Ashley und Irene ins Büro folgen, aber in diesem Moment sieht er, dass noch drei weitere der Zuschauer dageblieben sind. Es sind die Iren: Barry O’Reilly, Brendan Kennedy und Cayden O’Doherty. O’Reilly nickt ihm jetzt anerkennend zu und stellt fest: „Mr. Brown hat recht: Er spielt nicht nur mit Schiffen.“

Der Termin für die Fertigstellung meines Schiffes rückte zügig näher, die Zeit verging wie im Fluge, und der August 1834 kam in greifbare Nähe. Auch die zwei Sabotageversuche brachten den Zeitplan für die „Ocean Dream“ nicht durcheinander. Glücklicherweise konnte ich mich auf meine Freunde verlassen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jetzt noch etwas aus dem Ruder laufen sollte.

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