1.1 Ein glückliches Ereignis an einem trüben Tag

  • 02.12.1804: Napoléon Bonaparte krönt sich in der Kathedrale Notre Dame de Paris zum Kaiser der Franzosen.

  • 26.05.1805: Napoléon wird im Mailänder Dom zum König von Italien gekrönt.

  • 02.12.1805: Die Schlacht bei Austerlitz endet mit dem glorreichen Sieg Napoléons.

  • 12.07.1806: In Deutschland bilden 16 Länder den Rheinbund und verlassen den Verband des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation.

  • 24.06.1812: Napoléons Grande Armée überschreitet mit 675 000 Soldaten – der größten Armee, die es in Europa jemals gegeben hat – die Memel.

 

Ein trüber Tag im Mai. Dichte, bedrohlich wirkende Wolken ziehen vorüber, alles wirkt grau in grau. Seit Stunden regnet es, dazu bläst eine gehörige Brise. Es ist der 27. Mai 1812. Balthasar Braun steht gegenüber seinem Haus auf dem Wall direkt am Ufer und schaut auf den ruhig dahinfließenden Rhein. Hin und wieder wird einer dieser tief im Wasser liegenden Lastkähne vorbeigezogen. Kraftvolle Kaltblüter stampfen einen ausgetretenen Treidelpfad dicht am Wasser entlang und bewegen die Kähne den Fluss hinauf; nur flussabwärts scheint alles wie von Geisterhand gezogen dahinzugleiten.
Balthasars Gedanken kreisen um seine Frau Josephine-Christine, die im oberen Stockwerk ihres Hauses in den Wehen liegt. Die Hebamme und der befreundete Hausarzt Dr. Anton Krone sind zugegen und hoffen jeden Moment auf die Geburt des dritten Kindes. Zwei gesunde Kinder haben die Brauns schon, einen Jungen mit Namen Christoph und ein Mädchen, Josephine. Die Hebamme ist eine kleinere, etwas stämmig wirkende Person, die schon Hunderten von Kindern in die Welt geholfen hat. Sie hat Balthasar zwar gesagt, er solle sich keine Sorgen machen, aber er hat es trotzdem nicht mehr im Haus ausgehalten und ist vor die Tür ans Rheinufer getreten. Hier steht er nun, der Regen prasselt auf ihn nieder, aber Notiz nimmt er davon kaum.

Der Weinhändler Balthasar Braun ist ein recht stattlicher Mann von groß gewachsener Statur und vollem dunklem Haar. Sein Vater, der zu Lebzeiten Kellermeister in einer größeren Weinkellerei war, vermittelte ihm das Gefühl und die Liebe für den Wein. So lag es nahe, dass auch Balthasar diesen Beruf ergriff. Nach und nach baute er sich einen Weinhandel auf, mit dem er Fasswein deutscher Kellereien erwirbt und ins Ausland, vornehmlich nach Großbritannien verkauft. In England lernte er seine Frau Josephine-Christine kennen. Die Tochter des Weinhändlers Simon Hill aus der James Street in London ist eine bildhübsche blonde, schlanke Frau, und Balthasar Braun verliebte sich auf den ersten Blick in sie. Josephine mochte Balthasars attraktives und kräftiges Erscheinungsbild. Ganz besonders faszinierte sie seine ruhige, verlässliche und zielstrebige Art. Dazu sprach er ein ganz passables Englisch und konnte sich sowohl „auf der Straße“ als auch in der feinen englischen Gesellschaft ausgesprochen sicher bewegen. Letztendlich verliebte auch sie sich Hals über Kopf in diesen jungen Deutschen. Zwei Jahre später heirateten die beiden, und Josephine-Christine folgte ihrem Mann ins Rheinland. Hier, in Mainz, gehören die Brauns zur Gruppe der angesehenen Kaufleute.

Die Wasseroberfläche des Flusses wirkt durch den niederprasselnden Regen fast so, als hätte „Vater Rhein“ Gänsehaut bekommen. Balthasar betet zu Gott, dass auch sein drittes Kind gesund sein möge. Simon-Balthasar soll es heißen, wenn es ein Junge wird. Simon nach dem Großvater in London und Balthasar nach Vater und Großvater in Mainz. Ein Mädchen soll Marie heißen, nach Mary, der Großmutter in England.
Eine Frauenstimme reißt ihn aus seinen Gedanken. „Herr Braun, es ist da, das Baby ist da! Ein Junge, ein Junge, Herr Braun!“, ruft Rosi, eine der Hausangestellten, die „Seele des Hauses“. Rosi ist eine kleinere, zierlich wirkende Person mit dunklen Haaren, Mitte fünfzig und immer noch ledig. Sie hat schon für den Vater Balthasars im Haushalt der Familie gearbeitet. Mit siebzehn Jahren war sie zu den Brauns gekommen und ist mit ihrer liebevollen, umsorgenden Art allen Familienmitgliedern sehr ans Herz gewachsen.

Erst jetzt bemerkt Braun, dass er durch und durch nass geworden ist – der Regen. Trotzdem weicht nun sein ernster, sorgenvoller Gesichtsausdruck einem Lächeln. Zügig und bestimmt schreitet der Hausherr auf sein Anwesen zu. „Danke Ihnen, Rosi.“ Balthasar Braun tritt durch das Eingangsportal aus Granitstein, steigt mit großen, schnellen Schritten die breite Marmortreppe hinauf und steuert das elterliche Schlafzimmer an.
Auguste, die Hebamme, kommt ihm entgegen: „Herr Braun, Sie sind Vater geworden, es ist ein Junge.“
„Wie geht es meiner Frau?“
„Alles in Ordnung, es geht ihrer Frau gut, und auch der Kleine ist wohlauf. Fünfzig Zentimeter und rund acht Pfund!“
Ein Lächeln malt sich auf das Gesicht des frischgebackenen Vaters: „Ganz schöner Brocken!“
Im Schlafzimmer liegt seine zierliche Frau ermattet auf dem breiten Ehebett. Schweiß steht auf ihrer Stirn. Doch sie lächelt ihn an, das Neugeborene in ihrem rechten Arm. Dr. Krone reicht dem Vater die Hand und streift sich mit der Linken durch seinen grauen Vollbart. „Gratuliere, Braun. Ich muss leider gleich weiter.“ Er zieht sich den Kittel aus, schlüpft in sein dunkelgrünes Jackett und verabschiedet sich.
Balthasar Braun küsst seine Frau auf die Stirn. „Josephine, er macht einen kräftigen Eindruck“, lächelt er.
„Du bist ja ganz nass, was ist geschehen?“ Josephine-Christine schaut ihn fragend an.
„Ich war vor dem Haus, ich habe die Spannung nicht mehr ausgehalten. Es regnet in Strömen!“
„Jetzt ist ja alles vorbei, wir haben es gut überstanden“, antwortet Josephine-Christine.

Da war ich nun auf der Erde, lag zuerst auf dem Rücken, fing an zu krabbeln und irgendwann zu laufen. An die ersten Jahre meines Lebens kann ich mich nicht erinnern. Nein, je länger ich darüber nachdenke: Da ist gar nichts. Alles was ich zu kennen meine, habe ich aus den Erzählungen anderer.

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