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5.7 Wasser des Lebens und Tod in den Highlands

„Mr. Brown, Mr. Boyt, mein Kompagnon Thomas Baxter und ich möchten uns für die Einladung hier an Bord herzlich bedanken!“ ...

„Mr. Brown, Mr. Boyt, mein Kompagnon Thomas Baxter und ich möchten uns für die Einladung hier an Bord herzlich bedanken!“
William Scott sitzt zwischen Thomas Baxter und Simon Brown zusammen mit den Offizieren der „Ocean Dream“ vor einem reichlich gedeckten Dinnertisch in der Messe. Vor zwei Tagen, am 10. September 1834 gegen 9 Uhr vormittags, war der Dreimaster durch den Firth of Forth in den Hafen von Leith gesegelt und hatte vor den Piers von Scott & Baxter, Wine & Spirit Merchants festgemacht.
Simon und George Boyt hatten einige Male darüber spekuliert, was William Scott wohl für eine Person sein müsste, um zu dem redseligen, freundlichen, farbenfrohen Thomas Baxter zu passen. Ganz erstaunt waren sie, als sie diesem hochgewachsenen, muskulösen blonden Mann mit seinen blauen Augen gegenüberstanden. Schon der erste Handschlag bei der Begrüßung machte ihnen deutlich, dass es sich bei dem Schotten um einen Mann der Tat handeln musste. Im Vergleich zu Thomas Baxter war seine Kleidung dezenter und die einzelnen Stücke waren aufeinander abgestimmt. Seine schwarzen, kniehohen Stiefel glänzten, was bei George Boyt den Eindruck erweckte, dass William Scott ganz sicher verheiratet sein müsste. Er sprach deutlich weniger als Thomas Baxter, aber die Worte, die er benutzte, waren präzise gewählt und ließen auch aufgrund seiner durchdringenden tiefen Stimme seinem Gegenüber kaum einen Handlungsspielraum.
Genussvoll schiebt sich William Scott nun ein Stück Fleisch in den Mund, kaut ein paarmal darauf herum und spült es zusammen mit einem Schluck vom Chai de Bordes aus Bordeaux hinunter. „Sie haben einen guten Koch hier an Bord, meine Herren. Ich muss schon sagen, der Lammbraten ist ein Gedicht. Und dieser Bordeauxwein passt ausgezeichnet dazu: die reife dunkle Beerenfrucht in Verbindung mit dem eleganten Eichenholz …“ Scott wendet sich seinem Partner zu: „Thomas, wie viele Flaschen haben wir heute davon gekauft?“
„150 Kisten, William, Chai de Bordes Rouge.“ Strahlend erhebt Baxter sein Glas und prostet in die Runde.
„Entschuldigen Sie, Mr. Baxter …“ Der Kapitän stellt sein Glas nach einem kräftigen Schluck zurück auf den Tisch. „Mittlerweile wissen Sie ja schon eine ganze Menge über uns Amerikaner. Gerne würden wir natürlich auch etwas mehr über Sie erfahren.“
„Selbstverständlich, Mr. Boyt. William und ich arbeiten nunmehr seit über fünfundzwanzig Jahren zusammen. Wir kennen uns aber noch viel länger, ich würde sagen, von Kindertagen an. Sie müssen wissen, ich bin in Stirling aufgewachsen und William in Bridge of Allan, nur ein paar Meilen von uns entfernt.“
„Wann genau wir uns kennengelernt haben, kann ich gar nicht mehr sagen, aber wir waren in der Tat noch sehr jung“, ergänzt William Scott.
„Unsere Väter haben sich während ihrer Zeit bei den Pionieren in der britischen Armee angefreundet, und später haben sich dann auch die Familien kennengelernt“, wirft Thomas Baxter ein.
Scott nickt. „Mein Vater war später als leitender Mitarbeiter in einer der Kupferminen in Bridge of Allan tätig, doch als die letzte Mine geschlossen wurde, sah es erst einmal düster aus. Glücklicherweise wurde jedoch nur ein paar Jahre später mineralisiertes Wasser gefunden, und dank Sir Robert Abercromby wurde aus Bridge of Allan ein Erholungs- und Kurzentrum mit einer Therme, in der mein Vater Arbeit in der Verwaltung fand. Thomas und mich verband schon immer die Liebe zu Wein und Whisky, und als er Anteile des Weinhandelshauses eines entfernten Onkels in Leith bei Edinburgh erbte, stieg ich dort als Kompagnon ein. Einige Jahre später waren alle anderen Anteilseigner ausgezahlt und Thomas und ich wurden die alleinigen Eigentümer von Scott & Baxter.“
„So ist es, meine Herren. William und ich haben in der Vergangenheit einige Kavernen gepachtet, für die Leith weithin bekannt ist.“
„Kavernen?“, fragt George Boyt interessiert nach. „Was ist das?“
„Das sind große unterirdische Hohlräume, in denen wir junge Rotweine, hauptsächlich aus Frankreich, einlagern. Sie entwickeln sich durch diese Lagerung großartig. Außerdem pflegen wir beste Kontakte zu den unterschiedlichsten Whiskybrennern“, erläutert Thomas Baxter begeistert.
„Nicht zu vergessen sind unsere ausgezeichneten Kontakte zur britischen Regierung und zur Ostindien-Kompanie, wie Sie ja bereits persönlich feststellen konnten, Mr. Brown“, ergänzt William Scott. „Das ist vor allem Thomas‘ Verdienst.“ Baxter muss schmunzeln. „Ich hätte es nicht besser formulieren können, William.“
„Bleibt denn bei all der Arbeit auch noch Zeit für das Private?“, lenkt der Erste Offizier das Gespräch in eine andere Richtung.
„Aber natürlich“, grinst Thomas Baxter und wirft Simon einen leicht verschwörerischen Blick zu. „Fragen Sie Mr. Brown; er durfte sich von meinen Fähigkeiten schon überzeugen.“
Simon kann dem Schotten nicht ganz folgen, was seinem Gesichtsausdruck anzusehen sein muss, denn Baxter scheint sich veranlasst zu fühlen, konkreter zu werden. „Brown, Sie wissen doch – am Morgen, als wir zur Ostindien-Kompanie wollten, sind Sie um ein Haar in die Ladys Saunders und Walsh hineingelaufen. Ich konnte die peinliche Situation gerade noch retten.“
„Wenn Sie es sagen“, antwortet Simon knapp. Er hat die Situation ganz anders in Erinnerung, zieht es aber vor, sich nicht darüber zu streiten.
„Ja, man kann wohl behaupten, der Thomas Baxter kommt gut an bei den Frauen. Sie lieben meine freundliche, lustige Art und mein gemütliches Wesen.“
„Entschuldigen Sie, Mr. Baxter“, wirft nochmals der Erste Offizier ein, „ich wollte eigentlich nur wissen, ob Sie verheiratet sind …“
„Ach so, Mr. Bradshaw. Nein, dafür hatte ich bis heute keine Zeit. Aber mein Freund William ist verheiratet, und zwar schon ziemlich lange. Seine Frau heißt Eleanor, stammt auch aus Stirling und ist genauso blond wie William.“ Thomas Baxter ergreift sein Weinglas, hält es in die Höhe und ruft: „Ein Prost auf die Frauen, ohne die unser Leben trostlos und öde wäre!“
Nachdem alle Männer ihre Gläser geleert haben, räuspert sich William Scott und wendet sich, wieder ernsthaft, Simon zu: „Nun, Mr. Brown, Sie wollen uns also tatsächlich auf unserem Ritt in die Highlands begleiten?“
Simon nickt begeistert. „Aber natürlich, Mr. Scott. Ich bin sehr gespannt, was uns dort erwartet. Mein Großvater hat mir schon so viel über die Highlands und ihre Whiskys berichtet. Wohin wird uns der Weg führen?“
„Zunächst werden wir morgen mit dem Schiff nach Aberdeen aufbrechen. Von dort aus geht es gen Norden bis nach Huntly und Dufftown.“
„Wer wird uns begleiten, Mr. Scott? Sie sind doch sicher auch dabei, Mr. Baxter?“
Der Angesprochene schüttelt sich theatralisch. „Um Gottes willen, das ist nichts für mich; diese Strapazen würde ich nicht überstehen! Tagelang im Sattel sitzen, die Nässe, die Kälte … einfach furchtbar!“
William Scott muss herzhaft lachen und bestätigt dann: „In der Tat, das ist nichts für Thomas. Während ich das spartanische Leben liebe, ist es bei ihm das genaue Gegenteil. Wie Sie sehen, Mr. Brown, wir ergänzen uns fürwahr ausgezeichnet. Also, wir werden mit zwei zweispännigen Fuhrwerken und sechs bewaffneten Männern reisen. Die Männer werden Sie auf der Fahrt nach Aberdeen kennenlernen, es sind deftige Burschen.“
„Bewaffnet?“, stößt Simon verblüfft aus.
„Ja, diese Whiskytransporte sind nicht ganz ungefährlich. Mit unserem ‚Wasser des Lebens‘ oder, wie wir hier sagen, uisge beatha wird viel Geld verdient, und in der Einsamkeit der Highlands sind wir ein leichtes Ziel und ein Räuber ist schnell auf Nimmerwiedersehen verschwunden“, erklärt William Scott sachlich. „Ehe ich es vergesse, Mr. Brown: Denken Sie an warme Kleidung. Die Nächte sind empfindlich kalt und es regnet nicht selten … Ist eben Schottland.“
Schallendes Gelächter erfüllt die Messe und William Scott sieht sich verdattert um, dann versteht er, was die Männer so erheitert, und muss selbst grinsen. „Ich vergaß, ich sitze ja hier mit wettererprobten Seemännern zusammen. Also, dann …“