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5.11 Bombay in neunzig Tagen?

„Sie wäre sehr hartnäckig, das waren ihre letzten Worte gestern Abend.“ Simon sieht in die aufmerksam gespannten ...

„Sie wäre sehr hartnäckig, das waren ihre letzten Worte gestern Abend.“ Simon sieht in die aufmerksam gespannten Gesichter von George Boyt und Edgar Bradshaw, die mit ihm in der Kapitänskajüte der „Ocean Dream“ sitzen.
„Na, wenn das kein Tête-à-Tête erster Klasse war, dann weiß ich es auch nicht!“, schießt es aus dem Ersten Offizier heraus.
„Mr. Bradshaw, bitte!“, maßregelt ihn der Kapitän. „Wir haben es hier mit einer verzwickten Situation zu tun. Wer kann schon mit Sicherheit sagen, wie sich die Sache entwickeln wird?“
„Entschuldigen Sie, Sir, natürlich.“ Bradshaw macht ein betretenes Gesicht.
Simon seufzt. „Mir wäre sehr daran gelegen, wenn wir einen Weg finden könnten, wie ich das scheinbar Unvermeidbare doch noch vermeiden kann. Irgendwie käme ich mir Marala gegenüber schuldig vor. Auf der Suche nach ihr reise ich um die halbe Welt, mache mir Sorgen, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte – und dann vergnüge ich mich mit einer anderen Frau?“
„Wir sollten sachlich an die Angelegenheit herangehen“, schlägt der Kapitän vor und erklärt weiter: „Auf unserer Seite haben jetzt drei Personen Kenntnis von der Sache … und mehr sollten es auf keinen Fall werden!“ Mit bohrendem Blick mustert George Boyt abwechselnd Simon und den Ersten Offizier, die beide zustimmend nicken. „Wir werden die Sache also absolut vertraulich behandeln, denn Lieutenant Walsh sollte von dieser delikaten Angelegenheit auf keinen Fall etwas zu Ohren kommen. Er scheint seine Frau ja geradezu anzuhimmeln, und wenn etwas zu ihm durchsickern würde, könnte es sein, dass er den Glauben an den makellosen Ruf seiner Gattin in Zweifel zieht. Und dann wäre unsere ganze Mühe umsonst und wir stünden am Schluss gänzlich ohne Transport da. Haben wir uns verstanden – Simon, Mr. Bradshaw?“
„Absolut, aus mir bekommt keiner auch nur ein Wort heraus“, verspricht der Erste Offizier. „Aber können wir davon ausgehen, dass die Gegenseite genauso verschwiegen ist?“
„Ja, ich denke schon, Mr. Bradshaw“, bestätigt Simon ernst. „Ich bin mir sogar ziemlich sicher. Lady Walshs Organisationstalent und ihre Raffinesse scheinen unübertrefflich zu sein. Man könnte sogar verleitet sein, ihr einen Hauch von Gerissenheit zu unterstellen.“
„Gut, der erste Punkt wäre geklärt“, stellt der Kapitän fest. „Nun zum Gegenstand der Erpressung. Die Zielperson bist du, Simon – leidtragend, wenn etwas schiefginge, wäre dagegen die gesamte Besatzung der ‚Ocean Dream‘ und natürlich auch Marala. Denn im besten Fall verlieren wir nur einige Wochen, im schlimmsten Fall aber den gesamten Transportauftrag und damit viel Zeit und Geld. Möglicherweise bräuchten wir Monate, um einen neuen Auftrag an Land zu ziehen – wertvolle Zeit für Marala. In den vergangenen Tagen habe ich mir unentwegt den Kopf darüber zerbrochen, wie wir mit dieser Erpressung umgehen sollen. Aber so, wie sich mir die Sache darstellt, kommst du nicht umhin, Lady Walshs Anweisungen zu folgen, Simon. Was meinen Sie, Mr. Bradshaw?“
„Nun, wir haben doch einen gültigen Vorvertrag, oder?“ Der Erste Offizier kratzt sich nachdenklich am Kopf.
„Den haben wir“, bestätigt George Boyt.
„Können wir nicht auf seine Erfüllung bestehen? Darf dieser Lieutenant Walsh aufgrund rein privater Differenzen mit Mr. Brown die Vertragserfüllung verweigern – ich meine, rechtlich gesehen?“
„Rechtlich gesehen ist Ihre Sichtweise korrekt, Mr. Bradshaw.“ Simon wirkt nun äußerst konzentriert. „Aber wir müssten bei der East India Company schriftlich auf die Vertragserfüllung bestehen, und wir oder Lieutenant Walsh müssten Gründe angeben, die dieser Vertragserfüllung entgegenstehen. Ich befürchte, wir würden einen riesigen Skandal lostreten, bei dem alle Beteiligten zu Schaden kämen. Des Weiteren würden wir uns damit für zukünftige Transporte ganz sicher nicht mehr empfehlen.“
„Das ist sehr bedauerlich. Dann werden Sie mit ihrer Lage wohl zurechtkommen müssen, befürchte ich.“ Der Erste Offizier zuckt bedauernd mit den Schultern. „Erlauben Sie mir die Frage, wie ich mir Lady Walsh vorzustellen habe?“
„Mr. Bradshaw, ich muss schon bitten …“ George Boyt ist deutlich empört.
„Ist schon in Ordnung, George“, beruhigt ihn Simon. „Mr. Bradshaw hat höflich gefragt. Der Verstand der Lady scheint messerscharf zu sein und ihr Aussehen ist kein Geheimnis. Kurz umschrieben: Sie ist eine gerade gewachsene, ausgesprochen hübsche Person, die sowohl kokett als auch niedlich wirken kann. Ihre feinen Züge stehen im Gegensatz zu ihren vollen Lippen, und beim Lächeln bilden sich Grübchen in ihren Wangen. Darüber hinaus hat sie ein äußerst gepflegtes Erscheinungsbild. George, du hast sie ja im Büro des Lieutenants gesehen.“
„Hm“, brummelt der Kapitän, „nur kurz, und außerdem habe ich auf die Frau gar nicht so genau geachtet.“
„Ach ja“, fügt Simon hinzu, „Lady Walsh hat einen exzellenten Geschmack, was die Wahl ihrer Kleidung anbetrifft, möchte ich meinen.“
„Also ein Wolf im Schafspelz“, konstatiert der Erste Offizier, „auf der einen Seite hübsch und auf der anderen gerissen.“
„Wolf hin, Wolf her – Simon, du wirst dich bis zum nächsten Treffen mit ihr entscheiden müssen.“ Der Kapitän fasst sich mit der rechten Hand an die Stirn, als müsse er sich stärker konzentrieren. „In der Tat ist diese Lady Walsh ausgesprochen attraktiv. Unter der gesamten Besatzung der ‚Ocean Dream‘ finden sich wohl keine drei Männer, die sich nicht über diese Art von Erpressung freuen würden, aber du gehörst nun einmal nicht dazu. Und du bist die einzige Person, die diese Entscheidung treffen kann und auch treffen muss. Ich gebe zu bedenken, dass es zum großen Teil in deiner Hand liegt, ob und wie schnell wir nach Indien kommen. Du weißt nicht, ob Marala noch am Leben ist, und wenn sie es nicht ist, dann hast du dir auch nichts vorzuwerfen, wenn du Lady Walshs Wünsche erfüllst. Sollte Marala jedoch am Leben sein, was wir alle hoffen, dann ist es von großem Vorteil, so schnell wie möglich nach Bombay zu kommen. Aber auch dazu ist es notwendig, auf die Lady einzugehen.“
„Ich habe verstanden, George.“
„Tja, es gibt nichts, was es nicht gibt“, seufzt der Erste Offizier. „Aber früher wäre so etwas nicht passiert.“
Ohne auf diese Bemerkung einzugehen, wendet sich George an seinen Freund: „Wann, sagtest du, triffst du dich mit ihr?“
„Heute am späten Nachmittag, George“, erwidert Simon mit einem unguten Gefühl im Bauch. „Zunächst werde ich mich auf den Weg nach Cornhill machen und schauen, was es mit dieser Overland Route auf sich hat.“
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