Es ist eisig kalt an diesem Januarmorgen in der kleinen Kapelle des Rittergutes der Familie von Zwangen in ...
In Lissabon heiraten Königin Maria II. von Portugal und Auguste de Beauharnais. Die Ehe währt jedoch nur kurz, da der Gemahl am 28. März an einer Angina verstirbt.
30.01.1835
Erster Attentatsversuch auf einen US-amerikanischen Präsidenten: Andrew Jackson wird von dem arbeitslosen Anstreicher Richard Lawrence vor dem Kapitol mit zwei Pistolen angegriffen, jedoch nicht verletzt.
20.02.1835
Charles Darwin wird Zeuge eines schweren Erdbebens bei Valdivia in Chile.
Es ist eisig kalt an diesem Januarmorgen in der kleinen Kapelle des Rittergutes der Familie von Zwangen in Gau-Fallersheim. Trotz seiner reichlichen Verzierung wirkt der Eichenholzsarg vorne im Altarraum mit seiner Dekoration aus Tannenzweigen und Kerzen düster. Für Josephine hätte sich Simon eine farbenfrohere Gestaltung gewünscht, doch woher sollten im tiefen Winter frische Blumen kommen?
Simon seufzt. Schon vor zwei Tagen war er mit seiner Familie hier, um gemeinsam mit den von Zwangens seiner verstorbenen Schwester und ihres ungeborenen Kindes zu gedenken und den Rosenkranz zu beten. Heute nun steht ihnen der endgültige Abschied bevor. Wider besseres Wissen schlummert in Simon irgendwo immer noch die verzweifelte Hoffnung, dass alles nur ein Missverständnis sein könnte, ein bösartiger Traum, aus dem er wieder erwachen würde. Aber das schmerzhafte Stechen in seiner Magengegend sagt ihm etwas anderes. Nein – nie wieder wird es ein Gespräch mit Josephine geben, wird er ihr fröhliches Lachen hören … Und dabei liegt das letzte persönliche Gespräch mit seiner Schwester schon so lange zurück – fast sechs Jahre, wie Simon erschrocken feststellt.
Hätten sie seine Schwester doch wecken sollen, als er mit Konrad an ihrem Bett stand? Sie sah so friedlich aus, wie sie dort schlief. Nein! Schlussendlich war ihr Tod das Ergebnis einer Aneinanderreihung unglücklicher Umstände. Simon hätte nichts daran ändern können. Um sich auf andere Gedanken zu bringen, sieht er sich in der Kapelle um. Vorgestern war sie ihm recht groß vorgekommen, heute dagegen – bis auf den letzten Stehplatz vollgestopft mit Menschen – wirkt sie winzig. Zur Beerdigung sind zwar nur die engsten Verwandten geladen, doch diese allein füllen den vorhandenen Raum bis auf den letzten Winkel. Konrads Eltern hatten mehrfach vorgeschlagen, die Trauerfeier lieber in der örtlichen Kirche abhalten zu lassen, aber Konrad hatte sich unter keinen Umständen davon abbringen lassen, den Ort zu wählen, der den schönsten Tag seines Lebens geprägt hatte.
So sitzt Simon in der zweiten Reihe der Kapelle zwischen Thesi, die ihren Kopf an Christophs Schulter gelehnt hat, und seiner Mutter, die ihre Hände nervös in ihrem Schoß knetet. Beide Frauen ringen um Fassung, dennoch gelingt es ihnen nicht, ihre Tränen zurückzuhalten. In der Reihe vor ihnen sitzt die Familie von Zwangen. Obwohl Simon Konrads Vater, Graf Maximilian von Zwangen, erst ein paar Mal zuvor gesehen hat, ist er sich sicher, dass er den Personen seines Umfeldes ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit vermittelt. Dieser weißhaarige, großgewachsene Mann strahlt Souveränität, Besonnenheit und Sachlichkeit aus, ohne dabei empathielos oder arrogant zu wirken. Der Graf hatte Simon schon bei ihrer ersten Begegnung beeindruckt.
Während der Priester mit seiner Ansprache beginnt und sowohl tröstende als auch ermutigende Worte an die Trauernden richtet, fällt Simons Blick auf das kleine Totenkärtchen in seinen Händen, das ihm jemand beim Betreten der Kapelle in die Hand gedrückt hat. „Wir trauern um Gräfin Josephine von Zwangen …“, liest er still vor sich hin. Plötzlich sieht er sich vor seinem inneren Auge wieder am offenen Grab von Jan ter Brüggen stehen. Erst gestern hatte diese andere Trauerfeier stattgefunden. Der Rest seiner Familie hatte sich nicht imstande gesehen, einen Tag vor Josephines Beerdigung an Jans Trauerfeier teilzunehmen, und so waren neben Simon nur Corrie, ihre Mutter Benthe und deren Ehemann, der Schuhmacher Bram van de Pol aus Maastricht, sowie Doktor Krone die einzigen Trauergäste.
Corrie hatte sich noch einmal sehr herzlich bei Simon für seine Unterstützung bedankt – und doch war er mit sich nicht im Reinen. Über viele Jahre hatte sich seine Freundschaft mit Jan entwickelt, dann war er mehrere Jahre fort gewesen, nur um jetzt kurzfristig zurückzukehren und ihn sterben zu sehen. Hatte er Jan mit seinem spontanen Besuch, mit seinen ausgiebigen Erzählungen überfordert? War er egoistisch gewesen und hatte nicht genügend Rücksicht auf den gesundheitlichen Zustand des Holländers genommen? Und dann wurde ihm fast zeitgleich auch noch seine geliebte Schwester entrissen … Josephine, die doch immer da war … Die Chance für eine gemeinsame Zeit ist abgelaufen und die Zeit danach, die Zeit ohne sie, hat jetzt unwiderruflich begonnen. Zwei geliebte Menschen, die ihm trotz aller Entfernung so wichtig waren, auf derartige Art und Weise und innerhalb so kurzer Zeit zu verlieren, schmerzt einfach zu sehr.
Simon spürt eine gewaltige Last auf seinen Schultern und einen unsäglichen Druck auf seiner Brust. Aber dann wird ihm noch etwas anderes klar: Er will nicht noch einen dritten geliebten Menschen verlieren. Und das heißt, er muss so bald wie möglich den Spuren von Marala weiter folgen und alles in seiner Macht Stehende tun, um wenigstens sie zu retten. Vor Neujahr werden seine Eltern ihn nicht fahren lassen, aber direkt danach wird er seine Reise nach Wien in Angriff nehmen ...